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Wenn er dann einmal Zeit
hat, will Porzellandoktor Rolf Neff in der
Winterthurer Klinik auch diese antike Vase
reparieren. |
«Irgendwann mache ich mich
mal an diese hier», sagt Rolf Neff und zeigt auf
Scherben einer chinesischen Vase. «Die hat uns
vor Jahren jemand überlassen.» Die Vase
gehört zu jenen «Patienten», die Neff
gehören; neben ihr im Regal stehen aber noch
viele weitere beschädigte Porzellan- und
Keramikgegenstände. Sie haben sich mit den Jahren
in der Winterthurer Porzellanklinik angesammelt und
harren ihrer Reparatur.
Bis Neff Hand an sie legt, kann es aber noch dauern.
Denn an der anderen Wand lehnt ein viel grösseres
Regal, beladen mit Dingen, auf die die Kundschaft
wartet: Teller, Tassen, Vasen, Gläser und
Figuren. Nicht alle sind von grossem materiellen Wert,
«aber von emotionalem» wie der
Porzellandoktor mehrfach betont.
Koste es,
was es wolle
Mit seiner Arbeit bewahrt Rolf Neff Andenken und
kittet Freundschaften: Die Vase, die stets bei
Grossmutter in der Ecke stand und einer Unachtsamkeit
bei der Wohnungsräumung zum Opfer fiel, der
Keramikhund, den die beste Freundin bei ihrem letzten
Besuch zerschlug ... es sind vielfach solche Dinge,
die bei Neff in der Intensivstation landen. Oft
drängt sein Einsatz: «Das muss unbedingt
wieder in Stand gesetzt werden. Koste es, was es
wolle», heisst es oft, wenn ein
Lieblingsstück eines Bekannten zu Bruch gegangen
ist.
«Viele Leute bringen aber auch die eigenen
Lieblingsstücke zu uns nach Winterthur»,
berichtet Neff. Er nimmt eine Porzellantasse aus dem
Regal und erklärt: «Für diese hier
bekommen Sie auf dem Flohmarkt vielleicht noch zwei
Franken, mehr nicht.» Für die ältere
Dame, die der Porzellanklinik das
Espressotässchen aus Berlin zuschickte, ist die
Erinnerung, die sie mit dem Stück verbindet,
jedoch viel mehr wert. Nicht nur im übertragenen
Sinn. Auch finanziell – ab 80 Franken
aufwärts kostet es, ein Souvenir zu erhalten.
Der wahre
Wert der Dinge ...
Die Kunden schätzen die sorgfältige
Rekonstruktion ihrer Erinnerungsstücke. Und Neff
schätzt es, seiner Kundschaft ein Andenken zu
bewahren. Für ihn spielt es dabei keine Rolle, ob
er ein antikes Meissener Porzellan oder einen zwei
Jahre alten Gebrauchsgegenstand in den Händen
hält. Er weiss: Der wahre Wert steht nicht auf
dem Preisschild.
Apropos Preis. Prinzipiell erstellt Rolf Neff immer
erst einen Kostenvoranschlag, bevor er sich an die
Arbeit macht. «Dann wissen die Kunden, woran sie
sind, und können selbst entscheiden, ob ihnen die
Reparatur so viel wert ist.» So wie bei der
2-Franken-Tasse. «Die Kundin will diese Tasse
unbedingt in Stand gesetzt haben. Und sie besteht
darauf, dass ich es bin, der das Stück
repariert», sagt der Winterthurer nicht ohne
Stolz. Weshalb dem so ist, wie diese Kundin zu seiner
Adresse gekommen ist, weiss er aber nicht. Da kann er
nur mutmassen.
Wäre die Absenderin der Tasse jünger,
hätte sie vermutlich nach einer
Porzellan-Reparaturstelle gegoogelt. Doch die
Kundschaft Neffs gehört eher nicht zur
Internet-Generation. Während alles immer
schneller, immer neuer, immer besser sein muss, und
die Zeit wie Sand zwischen den Fingern verrinnt,
rekonstruiert Neff Dinge, die Menschen gehören,
welche es würdigen, wenn vergangene Zeiten
konserviert werden.
Dabei sind die Gegenstände, denen der
Porzellandoktor möglichst wieder ihr
früheres Aussehen zurück gibt, meist (auch)
aus Quarzsand. Ob ein Emailzifferblatt, ein
Kristallglas, Keramiken und Weich-
oder Hartporzellan, Objekte aus all diesen
Materialien kann Neff wieder in Schuss
bringen. Mal mit herkömmlichen, mal mit
neusten Produkten aus der Zahntechnik.
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«Der wahre Wert der
Dinge steht nicht auf dem Preisschild»,
weiss der Porzellandoktor und repariert all jene
Dinge, die seinen Kunden lieb und teuer und ans
Herz gewachsen sind.
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Die
Vergänglichkeit hinauszögern
«Vieles hier in der Werkstatt stammt aus der
Zahntechnik, denn der Gründer der
Porzellanklinik, Fritz Rutschmann, arbeitete lange
Jahre in diesem Fach», erklärt Neff. Und
wie wurde er zum Porzellandoktor? «Ganz einfach,
ich hab mich auf ein Stelleninserat beworben.»
All die Geheimnisse der gebrannten Andenken zu
erlernen, war dann doch nicht so einfach. Er arbeitete
deshalb längere Zeit als Assistent an der Seite
seines Vorgängers Rutschmann, bis ihm dieser die
Geschäftsführung 2004 übergab.
Hinter viele Rätsel alter Keramiken komme man
erst mit Erfahrung, betont Neff. Beispielsweise gebe
es einen Porzellanhersteller, der in seine Figuren zur
Stabilität manchmal Metallstifte einarbeitete.
Durch die natürliche Korrosion bricht die Figur
irgendwann. «Natürliche
Vergänglichkeit.» Sie lässt sich nicht
aufhalten, «aber verzögern!» freut
sich der Schönheitschirurg des Porzellans.
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